Patrick Lengwiler spricht über die geplante Reform im Schweizer Eishockey.
Liebe EVZ Freunde
Vorsicht: Sie werden einige Zeit brauchen, um diesen Text zu lesen. Aber wenn es Sie wirklich interessiert, um was es bei der geplanten Reform im Schweizer Eishockey geht und welche Standpunkte der EVZ vertritt, wird sich der Aufwand lohnen!
Seit vielen Wochen wird hitzig über die Reorganisation der National League debattiert. Es werden wilde Thesen und Prophezeiungen aufgestellt, fantasievolle Verschwörungstheorien kreiert und falsche Termine genannt. Vor allem aber werden einzelne Punkte aus dem Gesamtzusammenhang herausgerissen und isoliert diskutiert. Dabei geht es in den meisten Fällen um Partikularinteressen, die manchmal ehrlich und direkt, aber mehrheitlich versteckt und in perfider Form auf indirekten Wegen vertreten werden. Da noch nichts entschieden ist und noch viele Einzelheiten auszuarbeiten sind, wird von uns Klubs zu wenig proaktiv über den gesamten Inhalt und die Beweggründe dahinter kommuniziert. Dies öffnet den Raum für die vielen Spekulationen, wie sie momentan auf verschiedenen Kanälen zu finden sind. Wir vom EVZ befürworten es, hinzustehen und ehrlich unsere Haltung darzulegen.
Wir bleiben unserer Vision treu!
Zuallererst können wir Ihnen versichern: Wir bleiben uns und unserer Vision treu! In unserer Vision ist verankert, dass wir mit ambitionierten Spitzensportlern und dem eigenen Nachwuchs als Basis den nächsten Titel anstreben. Wir im EVZ investieren aus Überzeugung viel in die eigene Nachwuchsarbeit und werden dies auch in Zukunft tun! Wir werden in unserem National League-Team weiterhin Jahr für Jahr Plätze für die eigenen Nachwuchstalente freihalten, weil wir dies wollen und dies für uns Sinn macht. Wir stehen zu jedem Wort unserer Strategie und gehen weiterhin konsequent unseren Weg - unabhängig davon, ob zukünftige Reglemente auch einen anderen Weg zulassen würden.
Die Ligareform ist aus unserer Sicht dringend notwendig und die Voraussetzung für eine bessere und sicherere Zukunft des Schweizer Eishockeys. Auch wenn wir Klubs auf dem Eis hart und fair gegeneinander kämpfen, so bilden wir dennoch gemeinsam das Produkt „National League“. Die Zukunft des Schweizer Eishockeys ist nur dann sichergestellt, wenn wir dafür sorgen, dass wir uns auch in Zukunft als gleichwertige Konkurrenten auf dem Eis begegnen können. In vielen Besprechungen sind die Klubs gross mehrheitlich zum Schluss gekommen, dass wir aus diesem Grund einiges ändern müssen. Vieles war gut, vieles muss aber anders werden. Die Corona-Pandemie hat uns aufgezeigt, wie fragil alles ist - und wie dringlich eine Veränderung! Wenn die aktuelle Ausgeglichenheit innerhalb der Liga einzig und allein darauf beruht, dass einige Teams über ihren Verhältnissen leben und im Verhältnis zu ihren Möglichkeiten zu viel Geld in das Kader investieren, dann ist dies kein sicheres Fundament. Und wenn einige Teams dies nicht mehr machen, weil sie es aufgrund des aktuellen wirtschaftlichen Schadens gar nicht mehr können, wird sich die Schere innerhalb der Liga zwischen Arm und Reich kontinuierlich weiter öffnen. Die National League wird damit jedoch an Attraktivität verlieren, wenn die schon heute bestehenden finanziellen Unterschiede noch grösser werden. Die Tendenz geht in diese Richtung. Mit der geplanten Ligareform wollen wir dieser Gefahr vorbeugen, und zwar zu einem Zeitpunkt, wo es noch nicht zu spät ist. Nach vorne sind wir nur stark, wenn wir gemeinsam eine bessere National League formen – mit Lösungen, von denen alle Klubs profitieren können, die allen Klubs sportlich und wirtschaftlich interessante Zukunftsaussichten bieten. Dazu braucht es von allen Seiten Kompromisse, auch von uns. Wir sind nicht mit allen Details der geplanten Ligareform einverstanden, aber wenn jeder auf seinen Standpunkten beharrt, finden wir nie einen gemeinsamen Nenner. Deshalb unterstützen wir die Gesamtlösung und setzen uns auch dafür ein.
Wenn man die Klubbrille auf die Seite legt, kann man festhalten, dass die National League dann am attraktivsten ist, wenn alle Teams auf dem Eis konkurrenzfähig sind, wenn die Klubs kundenorientiert und profitabel wirtschaften und in die Zukunft investieren, wenn es mehr verschiedene Meister gibt als zuletzt und wir an mehreren Standorten Erfolgsgeschichten schreiben und wenn es sich für die Wirtschaft einer Region lohnt, auch langfristig in eine Eishockeyorganisation zu investieren. Das entspricht voll und ganz der Auffassung des EVZ. Wenn die Klubs diese Ziele erreichen wollen, braucht es die Ligareform mit entsprechenden Massnahmen, zu denen ich Ihnen unsere Haltung erklären möchte (klappen Sie dazu einfach die entsprechenden Themen auf).
Das Eishockey hat sich im letzten Jahrzehnt enorm stark entwickelt, die wirtschaftlichen Unterschiede innerhalb der National League wie auch gegenüber der Swiss League sind nochmals grösser geworden. Dem gilt es Rechnung zu tragen und neue Wege für die Ligazugehörigkeit zu finden. Die Grösse der National League kann variieren und 10 bis 14 Klubs umfassen. Wir wollen die Möglichkeit wahren, dass der Meister der Swiss League aufsteigen kann, wenn die Konkurrenzfähigkeit gegenüber den Klubs der National League gegeben ist. Dafür werden klare Kriterien definiert, die interessierten Swiss League Klubs eine faire langfristige Perspektive geben und sie nicht mehr dazu zwingen, schon in der zweithöchsten Liga über mehrere Jahre unverhältnismässig viel Geld auszugeben, um am Schluss in der heutigen Ligaqualifikation gegen einen National League Klub gewinnen zu können. Wenn ein solcher Klub dann in der National League ist, kann er über mehrere Jahre auch etwas aufbauen. Die unmittelbare Abstiegsgefahr soll verschwinden, in Zukunft soll nicht eine schlechte Saison darüber entscheiden, ob ein Klub aus der Liga ausscheiden muss oder nicht. Nur ein Klub, der über mehrere Jahre immer Letzter ist oder wirtschaftlich nicht genügend gut arbeitet, steigt ab. Dies gibt den Klubs mehr Handlungsspielraum, man kann langfristig etwas aufbauen und auch einmal ein bis zwei schlechte Platzierungen hintereinander in Kauf nehmen. Für einen abstiegsgefährdeten Klub war es bis anhin über Monate fast nicht möglich, Spieler- oder Sponsoringverträge abzuschliessen. Es war damit sehr schwierig, aus einer Negativspirale herauszukommen. Nostalgiker und Kolumnisten, welche sich an Misserfolgen und Fehlentscheidungen ergötzen, werden nun sagen, dass dies Sport ist, immer so war und man dann halt absteigt. Als Arbeitgeber von über 120 Festangestellten und 220 Teilzeitangestellten sehen wir dies anders. Die Klubs sind heute mehr als nur eine Mannschaft, die gegeneinander auf dem Eis antritt. Es sind KMU’s mit vielen Arbeitsplätzen in verschiedenen Bereichen. Aufgrund der grossen wirtschaftlichen Differenz zwischen National League und Swiss League sind bei einem Abstieg der Mannschaft der überwiegende Teil all dieser Arbeitsstellen betroffen. Wir erachten dies nicht mehr als zeitgemäss. Die Ligareform gibt die Möglichkeit, auch ein schlechtes sportliches Jahr zu überstehen – und ermöglicht damit, dass in die Zukunft anstatt in Rettungsaktionen investiert wird!
Mit dem Financial Fair Play will man langfristig die Ausgeglichenheit innerhalb der Liga fördern. Wir haben definiert, welche Zahlen massgebend sind und wie wir die kantonalen Vor- und Nachteile herausnehmen. Die Zahlen werden jährlich erhoben. Gemeinsam wird eine Untergrenze und eine Obergrenze gemäss dem Financial Fair Play festgelegt. Mit der Untergrenze setzt man eine Richtlinie, was man als Klub ausgeben muss, um in der National League konkurrenzfähig mitspielen zu können. Dieser Wert ist wichtig, um insbesondere einem Team aus der Swiss League klar darzulegen, was bei einem langfristigen Ligawechsel anvisiert und gestemmt werden muss. Mit der Obergrenze setzt man eine Richtline, wieviel maximal für das Team ausgegeben werden soll. Wenn sich alle Klubs innerhalb dieser Bandbreite bewegen, dann werden die heutigen riesigen Unterschiede etwas minimiert. Die Leistungen von Sportchefs, Coaching Staff und Mannschaft bekommen eine höhere Bedeutung. Einem Klub, der profitabel wirtschaftet, steht es aber auch in Zukunft frei, die Lohnobergrenze zu überschreiten. Ein solcher Klub erhält in der folgenden Saison aber weniger Geld aus der zentralen Vermarktung. Auch mit dieser Massnahme soll dafür gesorgt werden, dass die Ausgeglichenheit innerhalb der Liga gefördert wird und dass es künftig wieder mehr verschiedene Meister gibt. Zudem stellt man sich als Organisation einem Leistungsprinzip. Der sportliche Erfolg kommt in einen Kontext mit den wirtschaftlichen Möglichkeiten – es macht ihn messbarer und ergibt ein ehrlicheres Bild als heute. Gemäss dem Financial Fair Play haben wir den fünfthöchsten Wert. Wir haben in den letzten drei Jahren zweimal den Playoff-Final erreicht, was sicher einem guten Resultat im Verhältnis zum fünfhöchsten Wert der Liga entspricht. Wir können im Financial Fair Play aber auch erkennen, wie gross die Unterschiede innerhalb der Liga sind und wie weit selbst wir noch von der Spitze entfernt sind. In unserem Fall ist die Differenz zum zehnten Platz geringer als diejenige zum vierten. Das sind die Fakten und nicht einfach nur Blabla, wie es einige Protagonisten beliebig falsch darstellen.
Die Diskussion rund um die Erhöhung der Anzahl Ausländer wird sehr hitzig geführt. Es gibt auch rationale Gründe, warum die Anzahl Ausländer angepasst werden muss:
Jeder lizenzierte Ausländer soll neu zudem eine Lizenzgebühr kosten, heute bezahlen wir CHF 0.-. Es ist nicht, wie von vielen Personen proklamiert, das Ziel der Klubs, dass jeder möglichst viele Ausländer einsetzt. Für ein paar wenige Spiele einen zusätzlichen Ausländer zu verpflichten, wird zukünftig sogar kostspieliger sein als heute.
Wir im EVZ vertreten die Auffassung, dass es im Sport und im EVZ Identifikationsfiguren braucht. Auch aus diesem Grund setzen wir auf den eigenen Nachwuchs. Wir haben uns mit unserem Konzept „The Hockey Academy“ zum Ziel gesetzt, dass wir 2022 rund die Hälfte der Mannschaft aus den eigenen Reihen besetzen wollen. Wir sind noch nicht ganz am Ziel – aber schauen Sie genau hin! Wir sind ziemlich gut unterwegs – finden Sie nicht auch? Wir werden diesen Weg konsequent weiterverfolgen, unabhängig davon, was uns zukünftige Reglemente zugestehen würden. Das NHL Agreement ist für uns zusätzlich spannend, da wir damit endlich auch eine Entschädigung für die intensive Nachwuchsförderung erhalten. Es lohnt sich, dass wir in diese investieren.
Viel mehr Sorgen bereitet uns im EVZ die Entwicklung in der Swiss League. Zehn Klubs aus der Swiss League haben am 1. Dezember 2020 die Swiss League AG gegründet. Die Teams Ticino Rockets und EVZ Academy wurden als Gründungsmitglieder nicht zugelassen, die Zukunft dieser beiden Teams ist ungewiss. Man kann hinter diesem Vorgehen und diversen Aussagen ganz einfach Folgendes festhalten: Stand heute sind die Farmteams in Zukunft nicht mehr erwünscht. Wir können nachvollziehen, dass die Heterogenität innerhalb der Swiss League gross ist und sich einige Klubs von einer Liga ohne Farmteams eine besseren Vermarktungsmöglichkeit erhoffen. Mit unserer EVZ Academy soll damit aber auch ein Team verschwinden, welches nur junge Spieler einsetzt, um diese an die National League heranzuführen. In den letzten vier Jahren haben wir aus der EVZ Academy 50 Spieler herausgebracht. Davon spielen 16 Spieler aktuell in den Kadern von den National League-Klubs, 22 Spieler spielen bei anderen Teams in der Swiss League. Wir haben mit unserem Team in den ersten vier Saisons zweimal die Playoffs erreicht. Die genaue Bilanz der Ticino Rockets kennen wir nicht, aber auch sie haben gewiss viele Spieler für die National und Swiss League herausgebracht. Genau in diesem für das Schweizer Eishockey und den Schweizer Nachwuchs so wichtigen Punkt soll jetzt etwas geändert werden?! Mit Befremden nehmen wir zur Kenntnis, dass dies offenbar den gleichen Personenkreisen, die beim Thema Ausländer medienwirksam mit dem Nachwuchs argumentieren, bis dato offensichtlich egal ist. Diese Doppelmoral können wir nicht nachvollziehen.
Für mich kommt es bei einer Anpassung der Ausländerregelung letztlich auf eine Grundsatzfrage an: Wollen wir Schweizer Spieler nur darum einsetzen, weil es die Reglemente vorgeben? Haben wir so wenig Vertrauen in unsere Schweizer Nachwuchsarbeit? Sind denn alle ausländischen Spieler allesamt besser? Nein, das sind sie nicht! Im Sport sollte es um Wettbewerb und nicht um Quoten gehen. Unseres Erachtens können wir mehr Selbstvertrauen haben - die Nachwuchsarbeit in der Schweiz ist gut, wir haben viele gute Schweizer Spieler und wir müssen uns nicht hinter Reglementen verstecken. Die besten Spieler setzen sich durch, und so sollte es auch sein. Die Möglichkeit, mehr ausländische Spieler zu verpflichten, verändert den Markt, es heisst aber nicht, dass man es tun muss! Ich schaue hier neidisch auf die schwedische Liga – diese hat seit Jahren keine Limitierung und setzt aus Überzeugung vor allem auf die eigenen Kräfte. Das gibt einem Klub und dessen Nachwuchsarbeit Identität. Was das schwedische Eishockey dem Schweizer Eishockey voraus hat, ist meines Erachtens das viel stärkere Bewusstsein, dass wir mehr Kinder zum Eishockeysport bringen müssen, wie wichtig die Breite ist. Dass wir aktiv etwas dafür tun. Konkurrenz belebt das Geschäft und dies beginnt ganz zuunterst. Eine stärkere Konkurrenz fördert bessere Spieler und das sollte im Interesse des Schweizer Eishockeys sein.
Chancen und Risiken
Wir können akzeptieren, dass viele Fans Sorgen haben, wenn denn jeder NL-Klub zukünftig viel mehr Ausländer einsetzen wird. Wir teilen diese Sorge - wir werden dies sicher nicht tun. Man kann uns dies glauben oder nicht, aber urteilen über uns sollte man erst anhand der effektiven Taten und nicht anhand der zukünftigen Möglichkeiten. Die Ligareform würde eine grosse Veränderung ermöglichen – jede Veränderung birgt Chancen und Risiken. Veränderungen von Gewohnheiten und Rechten sind nie einfach und lösen Widerstände aus. Für uns als Organisation überwiegen in der andiskutierten Ligareform die Chancen, darum unterstützen wir diese und stehen dafür ein, auch wenn wir nicht in allen Detailpunkten gleicher Meinung sind. Aber wie schon gesagt: Letztlich gilt es, im Interesse einer Gesamtlösung auch Kompromisse einzugehen. An den Werten und Zielen unserer Organisation wird sich deshalb nichts ändern!
Corona hat uns stark durchgeschüttelt und beschäftigt uns weiterhin noch lange. Wir haben noch sehr grosse Herausforderungen zu meistern. Es gilt aber auch, die Zeit nach Corona vorzubereiten und diese besser zu gestalten. Wenn wir etwas Positives aus der Krise herausnehmen, so ist es dies, dass man alles genauer anschaut und vielleicht auch etwas mehr Mut zu Veränderungen aufbringt, weil die Dringlichkeit offensichtlich ist - vielleicht nicht für Aussenstehende, jedoch für uns als Entscheidungsträger. Für uns ist die Zukunft des Schweizer Eishockeys sehr wichtig und genau darum braucht es die Ligareform. Wir sind dies Ihnen gegenüber und unseren Sponsoren, Partnern, Gönnern, Fans und Zuschauern schuldig. Wir setzen uns für eine noch bessere Liga ein – vielen Dank, dass Sie uns Geduld und Vertrauen schenken!
Nach einem langem Text (sorry) wünsche ich Ihnen ein gutes neues Jahr - bleiben Sie gesund! Wir freuen uns, wenn wir Sie wieder physisch bei uns begrüssen dürfen. Irgendwann im 2021.
Patrick Lengwiler, EVZ CEO